Lässt sich über Qualität (wirklich nicht) reden?
Die Kehrseite des Baubooms ist, dass Baumaterialien knapp geworden sind: Die Preise für Baustoffe steigen folglich. Das verteuert aktuelle Wohnbauvorhaben und langfristig auch die Preise für Wohnimmobilien. Die entscheidende Frage: Wird jetzt bei den Qualitäten gespart?
DI Sebastian Beiglböck (Geschäftsführer der VÖPE) wurde unter anderen zu diesem aktuellen Thema interviewt.
Gibt’s eigentlich den Punkt, wo sich Wohnbau nicht mehr auszahlt?
Provokant, aber auch wortwörtlich gefragt: Wo wäre die Grenze, wo – seien es genossenschaftliche oder gewerbliche – Bauträger „einfach nicht mehr mitkönnen?“ Bisher hat die Entwicklung der Preise für Eigentumswohnungen mit jener von Grundstücks- und Baukostenmitgehalten. Die Marge blieb ausreichend, insbesondere wenn der Bauträger von der Aufwertung der Liegenschaft profitieren konnte. „In einem volatilen Markt kann sich das rasch ändern“, warnt Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen. Gemeinnützige Bauvereinigungen stecken in einem „sehr viel engeren Kostenkorsett, in dem die Wohnbauförderungsrichtlinien direkt und indirekt die Vorlaufkosten limitieren“. Es ist in den vergangenen zwölf Monaten häufig vorgekommen, dass Projekte auf die lange Bank geschoben werden mussten, weil die Angebote für Bauleistungen nicht unterzubringen waren.
Und was, wenn Bauträger sich gezwungen sehen, den Kostendruck nach unten weiterzureichen? Amann weiter: „Das ist fixer Bestandteil des Geschäftsmodells der Gemeinnützigen. Angesichts ihrer Bonität und des großen Bauvolumens haben sie große Marktmacht. Als Privatunternehmen unterliegen sie auch nicht dem Vergabegesetz und können im Gegensatz zur öffentlichen Hand nachverhandeln. Nicht wenige Baufirmen haben sich aus diesem Grund aus diesem Marktsegment verabschiedet.“
Die Ausgangslage
Steigende Beschaffungskosten und Lieferengpässe setzen die Baubranche unter Druck: Brancheninsider sprechen von Mehrkosten je nach Baustoff zwischen 25 und 45 Prozent. Vergleichbare Entwicklungen mit zweistelligen Zuwachsraten zeigen sich aber unter anderem auch bei Holz- und Dämmstoffprodukten sowie bei Erdölderivaten (Bitumen etc.). Zusätzlich zu den Preissteigerungen kündigten zuletzt viele Baustoffproduzenten eingeschränkte Verfügbarkeiten und unsichere Lieferfristen bei wesentlichen Baumaterialien an. Die dafür ins Treffen geführten Gründe sind vielfältig, dazu gehören Lkw-Staus durch coronabedingte Grenzkontrollen und überlastete Testcenter an den Grenzen, Engpässe bei Verpackungsmaterial und Paletten, Ausfälle beim Rohstoffeinkauf auf den internationalen Märkten oder fehlende Kapazitäten bei Seecontainern. Obwohl die Branche „nach wie vor über stabile Lieferketten“ verfüge, wirken die „massiv gestiegenen Energie- und Transportkosten zunehmend als Wachstumsbremsen“, sagt Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ). Der starke Anstieg von Strom-, Gas- und Transportkosten im zweistelligen Bereich sowie – pandemiebedingtweiterhin verlangsamte – Planungs- und Genehmigungsprozesse setzen somit der gesamten Immobilienwirtschaft zu. Arbeiten auf den Baustellen müssen häufig bis zur nächsten Materiallieferung stillstehen.
Ende der Materialengpässe in Aussicht
Die Nachfrage nach Materialien übersteigt das Angebot aktuell bei Weitem. Denn Hersteller haben die Produktionskapazitäten coronabedingt an die gesunkene Nachfrage angepasst – also heruntergefahren. Nach dem Pandemie-Einbruch wurden die Lager geleert. „Und die Industrie hat ihre Lager nicht mehr aufgefüllt“, sagt Sebastian Beiglböck, Geschäftsführer der Vereinigung österreichischer Projektentwickler (VÖPE). Rohstoffe wie Holz, Stahl und Granulate für die Kunststoffproduktion sind knapp. Einigen Baufirmen geht mittlerweile das Material aus. Aktuell fehlt es vorrangig an Stahl, Holz, synthetischen Dämmmaterialien und anderen Kunststoffprodukten. „Dämmmaterialien bereiten uns am meisten Sorgen“, so Beiglböck. Manchmal könne man sich nach alternativen Baustoffen umsehen, bei Holz und Stahl sei das aber schwierig. „Die Lieferung eines Parkettbodens dauert etwa ein halbes Jahr“, nennt Hans Jörg Ulreich, Geschäftsführer des Bauträgers Ulreich und Bauträgersprecher der Wirtschaftskammer, ein Beispiel. Dem Tischler wiederum fehlen mitunter Scharniere. Wer gute, langjährige Geschäftsbeziehungen hat, ist somit klar im Vorteil. Ebenso jene, die vorsichtig geplant und einen Zeitpuffer einkalkuliert haben.
Die höheren Beschaffungskosten entlang der gesamten Lieferkette spüren sowohl die ausführenden Baufirmen als auch die Bauträger, die Pauschalpreise zugesichert haben. „Die Preise können nicht mehr garantiert werden“, fasst es Beiglböck zusammen. Die Bauunternehmen wollen jedoch nicht auf den Mehrkosten sitzen bleiben und versuchen, diese an die Kunden weiterzugeben, etwa über Nachverrechnungsklauseln in den Verträgen. Viele Projektentwicklungen im Wohnungsbau werden so nicht umgesetzt werden können, da die hohen Baukosten nicht mehr über den Verkaufspreis hereingeholt werden können. Entwickler verschieben die Ausschreibungen für mehrjährige Projekte, weil manche Unternehmen der Meinung sind, dass es besser sei, heuer nichts mehr auszuschreiben – wenn man es sich leisten kann.
Hans Jörg Ulreich ist überzeugt: „Es wird ein halbes Jahr dauern, bis alle Lager wieder gefüllt sind.“ Dann sollte sich der Lieferengpass weitgehend aufgelöst haben – und sich die Preise wieder entspannen. „Die Nachfrage nach Baumaterial wird sich wieder einbremsen“, glaubt wiederum Sebastian Beiglböck. Dazu auch Sebastian Spaun, der schon weniger optimistisch ist: „Erst wenn wir die Abkehr von fossiler Energie schaffen, wird es zu einer spürbaren Entspannung kommen – denn die aktuelle Situation setzt nicht nur die Industrie unter Druck, sondern jeden Einzelnen.“
Entwickeln sich die Rohstoffpreise weiterhin so volatil, stellt sich unweigerlich die Frage, ob auch in Zukunft Festpreisverträge vereinbart werden können. Es ist keineswegs auszuschließen, dass der Markt auch bei kleineren Bauprojekten nur noch veränderliche Preise zulässt.
Verdichten und in die Höhe bauen
Ist das „In-die-Höhe-Bauen“ möglicherweise eine (Teil)Lösung zur Entspannung der Lage am Wohnungsmarkt? (Siehe dazu auch Seite 6 und den Artikel auf der nächsten Seite, wo Kurt Hofstetter von der IBA_Wien dazu Stellung bezieht.) Gibt es hier möglicherweise einen Gesinnungs- wandel seitens der Bauträger?
Dazu Spaun: „Auf jeden Fall! Denn es geht ja auch um den Schutz unserer wertvollen Ressource Boden.“ Nicht nur in Wien wird in die Höhe gebaut, auch in den Bundesländern entstehen Wohnhochhäuser mit völlig neuen Qualitäten wie auf dem Areal Grüne Mitte Linz oder auch in Innsbruck. Wieder Spaun: „Es hat auch bezüglich des Wohnens im Hochhaus längst ein Gesinnungswandel stattgefunden, denn gerade Wien zeigt die Vielfalt der Hochhausentwürfe, vom Triiiple bis zum Marina Tower den Danube Flats – Österreichs höchstem Wohnturm –, the one, Q-Tower, Helio-Tower und anderen.“ Auch in den neuen Stadtentwicklungsgebieten wird auf Hochhäuser gesetzt. Im Nordbahnhofviertel entstehen weitere Hochhäuser oder im „ökologischen Vorzeigegebiet“, dem Viertel Zwei. Spaun ist in diesem Zusammenhang „überzeugt, dass Beton der einzige Baustoff ist, mit dem grenzenlos in die Höhe gebaut werden kann, allen Naturereignissen wie Hochwasser oder Erdbeben zum Trotz.“ Dieser Sicherheitsaspekt sei im Lichte des Klimawandels ein wichtiger, den immer mehr Bauträger erkennen, meint der VÖZ-Geschäftsführer.
Verdichtung und In-die-Höhe-Bauen werden künftig somit wahrscheinlich (weiterhin) dominierende Bauformen in Österreich sein, denn der Boden ist einerseits teuer und andererseits ist das Bewusstsein gewachsen, dass Flächen geschützt werden müssen und Projekte auf der grünen Wiese klimaschädlich sind.